Die Wüste Kharma

Die Tiere machten Misuki unruhig, denn entgegen den Menschen spürten sie, wenn etwas nicht stimmte. Auch sie besaß einen solchen Instink, gegeben von ihrer Göttin Inari und so fühlte sie mit den Skorpionen, wusste aber nicht recht, was sie davon halten sollte.
Das Kleinen auf ihrem Rücken schien ebenfalls nervös, dass konnte sie in seinem Geist spüren. Misukis Fähigkeit Seele und Energa eines Lebewesens zu sehen gab ihr eine übertrieben scharfes Feingefühl und so konnte sie auch jetzt zwischen all dieses Skorpionen den finden, der eindeutig der Älteste war. Ein starker Geist aber schwächer werdende Lebenskraft; und dennoch wirkte der Skropion erhaben, dessen weiß, fast silbrig schimmernder Panzer zwischen den anderen hervorstach.
Kurz atmete sie tief ein: Sie würde keinen Rückzieher machen. Bedächtig - nicht langsam, nicht zu schnell - ging sie auf den Ältesten zu und die anderen Skorpionen gaben ihr den Weg frei, klapperten aber aggressiv mit den Scheren. Sie wussten, dass Misuki eine Fremde war, aber vielleicht war es der Skorpion auf ihrem Rücken, der sie davon abhielt sie zu zerstückeln.
Vorsichtig legte sie ihre Hand auf den Kopf des weißen Skorpion, der sie ohne zu zögern gewähren ließ. In seinem Geist konnte er spüren, dass er ihr nicht böse gesonnen war und langsam beugte sie sich zu ihm herunter und drehte sich etwas zur Seite, damit der alte Skorpion auch das Neugeborene begutachten könnte. Sie war nicht sicher, wie er auf das rote Junge reagieren würde.

Mai hatte das unbestimmte Gefühl von einer Lehrerin oder einem Elternteil zurechtgewiesen zu werden und sie fühlte sich gleichzeitig klein und dumm. Isabella hatte recht - es war ein Fehler gewesen, sogar ein ziemlich blöder.
Mai brummelte eine Entschuldigung vor sich hin und lies die Schultern sinken. Ihr Blick war gesenkt, bis ihr plötzlich die Zügel in die Hand gedrückt wurden: "Wa-?" Unbeholfen hielt das Mädchen sie fest und sah unsicher zu dem riesigen Greif: "Muss ich ihn lenken oder..?"
Sie hatte einen Blick zurückgeworfen und wieder Jet gesehen. Erneut senkten sich ihre Schultern: "Was ist mit ihm los? Ist er stark verletzt?"

Kurz zuckte sie zusammen, als sie ein brennen auf ihrem Arm spürte, beruhigte sich aber sofort wieder, als sie erkannte, dass der Älteste der Skorpione eine Art Zauber wirkte. Bevor sie auf die Stimmen achten konnte, die plötzlich auf Misuki einstürmten als wäre sie auf einmal nach Tengetzu teleportiert worden, strich sie ihrem Schützling beruhend über den weichen Rücken und drückte ihn mit sanfter Gewalt wieder dahin, wo er hingehörte.
Da hatte sie ja einen ganz Rebellischen adoptiert, aber das war ihr nur recht, sie war selbst nicht anders.
"Das Kind der Wüste!"
"Seht ihr das Blut?"
"Glaubt ihr, dass..."
"Ruhe!", keifte der alte Weiße und sah starr auf Misuk und ihren Schützling hinunter. Kurz zögerte er, dann hob er eine Schere als würde er belehrend den Zeigefinger heben. "Pass gut auf sie auf!"
Sie? Dann war der Kind der Wüste also...
"Sicher.", antwortete Misuki mit fester Stimme, auch wenn nur ein undefinierbares Klacken und Knarren aus ihrem Mund kam, dass sie dennoch verstehen konnte. Es war eindeutig unangenehm eine fremde Sprache zu sprechen ohne es wirklich zu wollen.
Kurz sah sie sich nach Rakael, der am Höhleneingang stand, dann wandte sie sich wieder dem großen Skorpion zu.
"Was erwartet mich?"

Sie dachte noch über Isabellas Frage nach, da bewegte sich der riesige Vogel unter ihr und schaukelnd hielt sie das Gleichgewicht - nach ihrer Meinung - sogar recht gut.
Schließlich entschloss sie sich ganz einfach von vorne anzufangen: "Naja... uns war langweilig, würde ich sagen und dann sind wir in diese kleine Hütte gegangen und hier herein geratten. Die Kapelle sah ziemlich interessant aus also haben wir uns auf den Weg gemacht. Da drin war dann dieser seltsame Baum mit den Augen." Einundzwanzig um genau zu sein. "Und plötzlich war dieser völlig gruselige Teppich hinter uns her - und ja, ich weiß wie sich das anhört - wir sind dann weggerannt und das Vieh hinter uns her. Jet hat es in die Pfanne gehauen aber die Felsen gaben nach und er ist einfach umgekippt! Und tja, denn Rest dürftest du so ziemlich mit erlebt haben."

Die letzten Worte des großen Weoßén beunruhigten Misuki. Rakael war schon die ganze Zeit über irgendwie...still. Sie hatte es für eine kriegerische Eigenart gehalten, aber konnte es wirklich sein, dass er ihr etwas verheimlichte, oder gar schlimmeres? Es war nicht gerade ein beruhigender Gedanke mit jemandem auf eine Reise zu gehen, dem sie nicht vertrauen konnte. Vor allem nicht wenn dieser einen riesigen Skorpion hatte und sich hundert mal besser unter dem Wüstensand auskannte als sie. Wahrscheinlich kannte Rakael jede Schlucht und jeden stillen Ort, wo kein Schrei je gehört werden würde...
Sie schüttelte den Kopf und ihre Ohren flatterten ein wenig, dann nickte sie Rakaels Skorion zu und gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg. Auf ihrer Schulter hörte sie das Kleine klackern, anscheinend konnten sie so kurz nach der Geburt schon reden, oder sich zumindest verständlich ausdrücken, denn bevor Misuki das Mal bekommen hatte, schien das Kleine irgendetwas gesagt zu haben. Jetzt allerdings kuschelte sie sich nur an Misukis Rücken.
Ich werde sie Samia nennen., entschied Misuki in Gedanken. Bis zu ihrer ersten Häutung, wenn sie endlich ihren Panzer erhielt, war sie vollkommen hilflos, ihre Scheren stumpf und ihr Stachel harmlos. Jetzt lag es wohl an der Kitsune, und sie hatte inzwischen sogar noch ein schlechteres Gefühl als vorher.
Urululu würde ihr einiges Beantworten müssen.

"Lebendig..." Sie schien erst das Wort zu kosten und dann abzuwägen, wie weit der Begriff reichte.
"Der Baum hat sich nicht bewegt oder so - aber es hätte mich ehrlich gesagt nicht gewundert. Andererseits hat uns auch eine Teppich verfolgt, mich hätte es gewundert, wenn mich etwas gewundert hätte.
Aber er hatte statt den Äpfel ganz komische Augen und sie schienen einen zu verfolgen - vielleicht war es nur eine optische Täuschung aber... wirklich daran glauben tu ich nicht." Zweifelnd sah sie Isabella an: "Aber ja; ich denke, da war etwas lebendiges und ich bezweifle, dass es gute Absichten gehabt hatte."

"Du musst verstehen, Mary.", ließ Misuki schüchtern verlauten, denn sie wusste nicht, wie weit sie gehen konnte, "Ich weiß nicht wem ich trauen kann. Ich kenne Rakael nicht, ich kenne diese Welt nicht, ich weiß nicht mal was all diese Prophezeiungen bedeuten sollen. Ich will nur Jet und Mai wiederfinden."
Sie zögerte kurz.
"Und Samia darf nichts geschehen."
Nur leider hatte sie das Gefühl, dass dieser Wunsch wohl oder übel dazu führte, dass sie in diese Geschichte mit hineingezogen wurden. Sie musste Rakael unbedingt fragen, was hier los war, aber das hatte sie ja schon. Anscheinend würde er es ihr nicht so ohne weiteres erzählen.
Umso überraschter war sie, als sie sein Grinsen sah. War seine Miene doch sonst recht versteinert gewesen. Fast schon schüchtern antwortete sie jetzt, als hätte sie ein schlechtes Gewissen wegen der Unsicherheiten, die sie sogar seinen Skorpion verraten hatte. Sie würde es ihm sicher erzählen.
"Genau genommen haben mich die Winterboten geschickt, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob sie sich der Ausmaße des Ganzen bewusst waren.", sie schaffte es nicht ganz das förmliche aus ihrer Stimme zu bannen, obwohl sie doch keine Mauer zwischen ihnen aufbauen wollte, nur weil ein alter Skorpion ihm nicht traute. Sie wusste ja nicht mal, warum dies so war. Sie wusste doch so vieles nicht.
"Ich bin...sagen wir einfach, auch wenn mans vielleicht nicht sieht, ich bin mehr als überfordert.", gestand sie schließlich, trat aber trotzdem an seine Seite, um zu zeigen, dass sie bereit war aufzubrechen.
"Es war etwas viel auf einmal."

Die Kitsune hatte sich nur schweigend auf den Panzer des Riesenskorpions geschwungen und dem Klagen Rakaels gelauscht. Sie konnte sich wirklich nicht vorstellen wie es war in endlosem Krieg zu Leben, sich immer fürchten zu müssen, wo sie doch meist frei und unbeschwehrt durch die Wildnis zog, aber eines stimmte nicht.
"Die Mission war lediglich euch das Ei wiederzubringen, aber jetzt mit Samia...", sie berührte vorsichtig die weiche Schere auf ihrer Schulter, sie war eingeschlafen: "Jetzt ist es etwas persönliches."
Ich werde sie beschützen, ging es ihr noch durch den Kopf, dann fiel ihr etwas ein, was mehr als merkwürdig geklungen hatte.
"Du...hast von den Winterboten gehört?"
Misuki könnte sich nicht wirklich vorstellen, dass hier unten jemand etwas von dieser durchaus großen Gilde wusste - andererseits wollten die Winterboten Informationen sammeln. Ob sie in ihrem Bestreben bereits bis hier hinunter vorgedrungen waren? Hatte Rosett vielleicht wirklich davon gewusst?

Während sie das Lager verließen und in den Dutzenden Tunneln des Skorpionnests verschwanden, wurde Misuki langsam wieder mulmig zumute. Sie hatte keine Energa, die sie benutzen konnte - abgesehen von ihrer eigenen - und das is solch einer Situation. Ihr Timing war mal wieder perfekt.
"Hoi?!", vorsichtig tippte sie Rakael an, aber was sie in wirklich tat, war etwas anderes. Sie hatte auch ihm einen Geistsplitter eingesetzt, wie auch Mary, damit sie ständig wusste wo sie waren. Ob es nun zu Misukis und Samias Schutz, oder zu dem von Rakael und Mary war, würde sich noch herausstellen. Jedenfalls glaube Misuki nicht, dass er genug druidiales Gespür hatte, um es zu bewerken.
"Wie lange wird es bist zu Urululu daue-", wollte sie fragen, aber da sah sie ein Licht am Ende des Tunnels, und als sie aus der stickigen Luft herauskamen, öffnete sich rechts von ihnen eine riesige Schlucht. So wie die Kitsune das sah, liefen sie gerade am Rand des Arms des Ikana Canyons. 50 Schritt über ihnen die Oberfläche, wo immernoch der Sturm über den knapp 12 Fuß breiten Graben peitschte, unter ihnen undurchsichtige Schwärze.
"Bis hierher komme die Sandwürmer nicht, oder?"

Es? Mai setzte gerade zum Fragen an, als der Greif sich erhob und sie vielleicht etwas zu fest an den Zügeln zog. Aber was warnte das Vieh sie denn auch nicht? Wäre ein Blinklicht oder eine Hupe zu viel verlangt gewesen?
Und als dann auch noch die Sandwürmer auftauchten war der Tag eigentlich perfekt. Seufzend nahm sie sich ein Beispiel an Isabella und rutschte erleichtert von dem gefiederten Rücken, hielt sich aber an Jet. Nichts gegen Isabella aber es war ganz bestimmt sicher, wenn sie nicht getrennt wurden.
Und tatsächlich schlug er schon kurze Zeit später die Augen auf.
"Da bin ich mir nicht so sicher aber es dürfte hier angenehmer sein als bei der Kapelle. Isabella hat uns aufgegabelt.", grinste sie erleichtert. "Gehts dir wieder gut? Du bist im denkbar schlechtesten Augenblick umgekippt."

Niedergeschlagen betrachtete Misuki die Überreste, als sich Samia quängelnd zu Wort meldete: "Hunger."
Etwas resignierend seufzte sie. Dafür hatten sie jetzt eigentlich keine Zeit, aber seit die Kleine geschlüpft war, hatte sie wirklich nichts zwischen die Hauer bekommen. Das musste sich ändern, aber ob sie hier in diesen Ruinen etwas finden würden...
Misuki schaltete ihren Geruchssinn ein. Aber zwischen Asche, Tod und Schimmel schien sich jetzt wirklich essbares finden zu lassen. Kurz überlegte sie, ob sie Rakael zu einer Rast zwingen sollte. Andererseits: Er als Skorpionkrieger musste doch wissen, wie man mit ihnen umging. Vielleicht konnte er ihr helfen.
"Rakael?", fragte sie erst leise, denn sie wollte den Krieger nicht in seiner Trauer stören, "Samia hat Hunger..."
Eigentlich hatte sie nicht vor anzuhalten, denn so würden die Sandwürmer sie nur einfach finden, aber sie hatte weder Ahnung was so junge Skorpione aßen, noch ob Rakael so etwas dabei hatte.
Notfalls müssten sie noch jagen.

Ah, das war also das flatternde Ding in der Hütte gewesen. Sie hatte es nach dem ganzen Trubel schon beinahe wieder vergessen gehabt. "Eine Karte also..." Nachdenklich tippte sie sich an die Nase, beugte sich dann etwas nach vorne und senkte dann genauso wie er beinah verschwörerisch die Stimme: "Was war darauf? Irgendwas wichtiges für uns? Und diese Kugel... geht sie nach einer Weile von alleine kaputt oder kann uns jemand gefolgt sein und hat sie zerstört, weil er ganz genau wusste, dass du dann umkippst?"
Oder jemand hatte sie einfach für ein nerviges Insekt gehalten und drauf geschlagen, das wäre auch eine Möglichkeit.